Über “Why the Church is as True as the Gospel” und über Eugene England.

Jahrelang in die Kirche gehen und Sonntag für Sonntag meckern und sich freuen, wenn man wieder zuhause ist. Man piesackt die Schwester und den kleineren Bruder und vielleicht ist man eine Qual für die Eltern in der Abendmahlsversammlung. Und eines Tages trifft einen der Heilige Geist und alles ist anders. Irgendetwas hat die wertvolle und einzigartige Perle vom Klumpen Lehm, der sie umgab, befreit und man sieht sie, in all ihrer unverwechselbaren Herrlichkeit, Wert und Schönheit. So ging es Eugene England im Alter von 12 Jahren auf einer Pfahlkonferenz.

 

Ich hatte so etwas auch mal – im Juni 2002 bei einer Satellitenübertragung zur Neuweihung des wiedererbauten Nauvoo Tempels. Eigentlich war ich zu diesem Zeitpunkt schon fast mit beiden Beinen voll in der Ablehnung der Kirche. Das Lied “Der Geist aus den Höhen” mochte ich auch nie wirklich. Aber da traf es mich. Vielleicht war es immer so eine Art Anker für meinen Glauben, der in den Jahren 2003 bis 2011 eine ganz andere Richtung nehmen sollte.

 

Sicher war das Erlebnis, das Eugene England bei seiner Begegnung mit Harold B. Lee (der einige Jahrzehnte später Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sein sollte) hatte, ein ganz ähnlicher Anker in seinem Glauben. Ein Erlebnis, das sein ganzes Verständnis dessen, was die Kirche für ihn war, verändert hatte. Vielleicht sollte es auch eine Basis für noch viele weitere Erlebnisse im Glauben sein, die ihm letztlich die Kraft gaben, auch dann seinen Glauben nicht zu verlieren, wenn dieser durch einen Bruce R McConkie und andere Personen des Kollegiums der 12 Apostel frustriert wurde.

 

Sein Aufsatz “Why the Church is as True as the Gospel” ist gerade im Lichte dieser Frustration bewegend. England schafft es, die Kirche und seinen Glauben in einem völlig neuen Licht zu sehen. Dort wo das Mitglied zwischen den beiden klassischen Polen “Die Kirche ist vollkommen, aber die Mitglieder sind es nicht” und der Feststellung des ehemaligen aktiven Mitglieds, dass “die Kirche vielleicht oder vielleicht nicht einige wahre Aussagen trifft, diese aber nicht mehr auf mich zu treffen” kein Mittelmass kennt; dort schafft Eugene England es, in dem Lehmklumpen des Unvollkommenen, Schrägen, Merkwürdigen, Menschlichen und des manchmal auch Verkorksten an der Institution Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage die wertvolle und einzigartige Perle des Göttlichen zu finden. Weil die Kirche es schafft, eine Struktur zu sein, die in ihrer Menschlichkeit und Unvollkommenheit doch mit dem Göttlichen und Vollkommenen verbunden zu bleiben scheint.

 

England schreibt: “Ich bin aufgrund meiner eigenen Erfahrungen, so wie meine Erfahrung damals auf der Pfahlkonferenz, davon überzeugt, dass die Kirche in der Tat so “wahr”, so effektiv, und so sicher ein Instrument der Errettung ist, wie das System von Lehren und Grundsätzen, die wir das Evangelium nennen. Und sie ist es zum grossen Teil gerade aufgrund gerade dieser Fehler, der menschlichen Verzweiflung und der historischen Probleme, die uns manchmal an der Kirche so viel Kummer machen.”

 

Für England ist es die Synergie der Gegensätze, die Leben und Nützliches schaffen. Gut und Böse, konservativ und liberal, Mann und Frau, Gerechtigkeit und Gnade, Freiheit und Ordnung, Romantik und Klassizismus, Integrität und gesellschaftliche Verantwortung(!) und eben auch Menschlichkeit und Göttlichkeit in der Kirche. Das Leben sei voller Gegensätze und wird durch sie bereichert.

 

Und so hebt England die Diskussion von den einfachen und vielleicht auch langweiligen Wahrheiten (“Ich weiss, die Kirche ist wahr”) auf eine andere, mehrdimensionale Ebene, auf der Wahrheit durch unvollkommene Menschen in einer unvollkommenen Institution fühlbar und erlebbar wird. Für ihn ist die Institution Kirche so vollkommen wie die Institution Ehe. Beide halten grosse Verheissung. Und beide sind eine Plattform für grosse Verzweiflung, viel Selbstaufgabe, Dienst und allerart Menschlichkeit und Merkwürdigkeit um die Verheissung zu erreichen, welche letztlich doch ein Gottesgeschenk bleibt.

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Über Eugene England:
Eugene England wurde am 22. Juli 1933 in Logan, Utah geboren. Er wuchs in Idaho auf, wo sein Vater eine Getreidefarm besaß. Sein Zeugnis von Gottes Wirken in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erhielt er im Alter von 12 Jahren auf einer Konferenz seines Pfahles (Diözese), als der damals noch als Apostel amtierende Harold B. Lee das Konferenzgebäude betrat und der junge Eugene auf übernatürliche Weise spürte, dass der Besucher ein im besonderen Maße bevollmächtigter Diener Gottes war.
Im Alter von 20 Jahren heiratete er Charlotte Hawkins, mit der er bald nach der Hochzeit eine HLT Mission nach Samoa antrat. Nach einer Zeit als Captain in der US Luftwaffe, besuchte Eugene England die Universität von Stanford, wo er sowohl von der Studentenbewegung der 60er Jahre als auch von seiner HLT Studentengemeinde, in der er aktiv war und eine leitende Berufung inne hatte, beeinflusst wurde. Während seiner Zeit in Stanford traf England Wesley Johnson, mit dem zusammen er das akademische Magazin über mormonische Kultur “Dialogue: A Journal of Mormon Thought” entwickelte und heraus gab.

Nachdem England Stanford verliess, unterrichtete er am St. Olaf Lutheran College in Minnesota, während er seine Dissertation schrieb, die er 1974 beendete. Als jedoch einige Studenten begannen, ihr Interesse am Mormonismus zu bekunden und deren Eltern formell Beschwerde vorbrachten, wurde England jedoch gezwungen, die Universität zu verlassen. Daraufhin wurde er an der Universität von Utah vorstellig und erhielt eine Dozentenstelle an der Fakultät für Religionswissenschaften an der er zwei Jahre unterrichtete, bevor er eine Professur an der Brigham Young University (BYU) erhielt.

An der BYU konnte England zusätzlich Vorlesungen in mormonischer Literatur geben und war im Jahre 1976 an der Gründung der “Association for Mormon Letters” beteiligt, welche das Ziel hatte, die Würdigung mormonischer Literatur zu erhöhen. Auch untersuchte er religiöse Themen in wichtigen literarischen Standardwerken. Während seiner ersten Jahre an der BYU war England in seiner fruchtbarsten Schaffensphase: er schrieb Bücher mit bekannt gewordenen Aufsätzen wie “Dialogue with Myself” und “Why the Church is as True as the Gospel,” Poesie, eine Biografie und zahlreiche Artikel. Im Jahre 1981 erhielt England einen Brief vom damaligen HLT Apostel Bruce R McConkie, welchen er las, als dieser bereits an die Presse durchgesickert war. In diesem Brief kritisierte McConkie England scharf für seine Auffassung, dass Gottes eigener ewiger Fortschritt darin bestehe, dass Gott neue Wahrheiten erlernen könne. (*1)

Die Historikerin Claudia Bushman schrieb später zu diesem Thema: “Die Auseinandersetzung zwischen McConkie und England offenbarte die Trennung zwischen theologischen Konservativen und Liberalen unter den Gläubigen und, im weiteren Sinne, den Konflikt zwischen autoritärer Kontrolle und Meinungsfreiheit.” (*2)

In seinem letzten Lebensjahrzehnt fühlte sich England zunehmend für seine Arbeit unter Druck gesetzt, was ihn dazu trieb, im Jahre 1998 von der BYU zu emeritieren. Ihm wurde daraufhin eine Arbeit als Gastprofessor am Utah Valley State College in Orem in Utah angeboten. Dort gründete er das “Center for the Study of Mormon Culture” als Teil der Fakultät für Religionswissenschaften der Universität. Bevor England das Zentrum für mormonische Kultur vollständig etablieren konnte, erkrankte er an einem lähmenden Gehirntumor. Trotz einer Operation, die zwei Zysten und einen Teil des Tumors entfernte, starb Eugene England am 17. August 2001.

Eugene England beschrieb das Ideal des mormonischen Wissenschaftlers als “so kritisch und innovativ, wie seine Gaben von Gott dies erfordern, sich jedoch seiner einzigartigen Herkunft und Gemeinschaft bewusst und ihnen gegenüber loyal zu sein, um diese Gaben dadurch ohne Schaden für sich und Andere auszuüben.” (*3)

*1 http://www.mrm.org/bruce-mcconkies-rebuke-of-eugene-england

*2 Bushman, Claudia (2006). Contemporary Mormonism. Greenwood Publishing Group. p. 149.; http://tinyurl.com/cpobcdf

*3 England, Eugene (1984). Dialogues With Myself, Personal Essays on Mormon Experience, Signature Books; http://signaturebookslibrary.org/?p=3280

Siehe auch:
* Remembering England; “Sent on Mormon-News: 25Aug01, By Kent Larsen; http://www.mormonstoday.com/010824/A2EEngland02.shtml

* Why Eugene England Still Matters; Shawn Larsen, Mormon Matters
http://mormonmatters.org/2008/04/09/why-eugene-england-still-matters/ 

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