Dr. Jennifer Finlayson-Fife: “Sexualität und Single-Dasein – mit Integrität und Klarheit den eigenen Weg finden”

Dr. Jennifer Finlayson-Fife regt mit ihrer Präsentation auf einer Single-Konferenz in New York City zum Nachdenken über das Thema “Sexualität für Mid-Singles” an. Mit ihrer Genehmigung wird der Artikel hier in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht. Dr. Finlayson-Fife ist Psychotherapeutin mit einem Ph.D in “Counseling Psychology” vom Boston College, wo das Thema ihrer Dissertation “LDS Women and Sexuality” lautete. Sie lehrt Universitätsklassen zum Thema Sexualität und betreibt eine Privatpraxis in Chicago, wo sie mit ihrem Ehemann und 3 Kindern lebt. Sie ist aktives HLT-Mitglied. Der untenstehende Text wurde aus einer Präsentation auf der „Of One Body” Single-Konferenz in New York City am 16. Mai 2015 übernommen.

 

Als ich kürzlich einer Freundin erzählte, dass ich in NYC eine Präsentation zum Thema Singles und Sexualität abhalten würde, lächelte sie und fragte mich: „Gibt es Überschneidungen zwischen beiden Themen? Worüber, um alles in der Welt, wirst du eigentlich reden?” Was an ihrer Frage gewiss skurril ist: sie enthüllt ein tief sitzendes Verlangen unter uns – besonders unter denen von uns, die verheiratet sind – so zu tun, als existiere die Sexualität von als Single lebenden Mormonen nicht oder solle nicht existieren, wenn man „richtig” lebt.

Wir sind eine Glaubensgemeinschaft, die Ehe, Familie und sexuelle Enthaltsamkeit sehr wichtig nimmt. Unmissverständlich zeigt die Art, wie wir mit Jugendlichen, Singles und Verheirateten über Sexualität  sprechen, wie sehr wir alles sexuelle Gedankengut und Verhalten auf das sichere Umfeld der Ehe beschränkt sehen wollen. Und in Anbetracht unserer religiösen Ideale und Wünsche wird es zu einer echten Herausforderung, einen Dialog über Single-Dasein und Sexualität auf eine bedeutsame und substanzielle Weise zu führen.

Ich möchte damit beginnen festzustellen, dass ich gerne den alleinstehenden Mitgliedern unserer Glaubensgemeinschaft helfen möchte, eine starke Beziehung zu sich selbst (einschließlich ihrer von Gott gegebenen Sexualität), beständige Beziehungen zu anderen, wie auch eine feste Beziehung zu den höchsten Prinzipien unseres Glaubens aufzubauen.

Mit anderen Worten, ich erhoffe mir für uns alle als Christen (Verheiratete und Alleinstehende gleichermaßen) die Möglichkeit, an unsere Sexualität in Übereinstimmung mit unseren moralischen Verpflichtungen und Idealen heranzugehen – und die auf eine Weise zu tun, die ein grundlegendes Selbstverständnis und die Fähigkeit zur Intimität mit anderen begünstigt. Sich selbst zu lieben, andere zu lieben und Gott zu lieben. Darum geht es ja auch im Kern bei den Geboten, nicht wahr?

Einigen mag es so erscheinen, als ob unsere Sexualität unser Bemühen, ein gutes Leben zu führen, untergräbt – insbesondere wenn man Single ist. Aber ich glaube, unsere Entscheidungen im sexuellen Bereich in Übereinstimmung mit unseren Überzeugungen zu treffen – mit dem, von dem wir glauben, es sei unter Berücksichtigung unserer speziellen Situation richtig – ist der Weg, auf dem wir zu Frieden und Ganzheit finden. Und ich werde heute mit Ihnen darüber sprechen, was dies meiner Ansicht nach von uns als Kirchengemeinschaft und als Einzelpersonen verlangt (ob wir nun selber Alleinstehend oder mit Alleinstehenden befreundet sind).

Lassen Sie mich zuerst einige der Schwierigkeiten oder Hindernisse schildern, denen sich, wie ich nach dem Nachdenken über dieses Thema und Unterhaltungen mit Freunden und Patienten glaube, Alleinstehende und führende Kirchenangehörige beim Thema Single-Dasein und Sex gegenübersehen:

Die Führung und die Mitglieder der Kirche stehen einer relativ neuen Herausforderung gegenüber oder zumindest einer mit Ausrufezeichen versehenen, verglichen mit unserer Geschichte. Während alleinstehende Erwachsene immer Teil unserer Glaubensgemeinschaft waren, ändert sich nun die Demographie der Kirche, da Menschen länger Single bleiben.

Im Jahr 1960 lag das durchschnittliche Heiratsalter amerikanischer Männer bei 22,8 und amerikanischer Frauen bei 20,3 Jahren. Im Jahr 2010 ist das durchschnittliche Heiratsalter für Amerikaner volle sechs Jahre höher: 28,7 Jahre bei Männern und 26,5 bei Frauen. Zusätzlich heiratet ein größerer Anteil von Amerikanern überhaupt nicht (oder lässt sich wieder scheiden).

Mormonische Wissenschaftler schätzen, dass in den Vereinigten Staaten bis zu ein Drittel der erwachsenen Mitglieder der Kirche Alleinstehende sind. Wie andere Amerikaner heiraten Mormonen später oder bleiben ganz Single, und die Bevölkerungsgruppe von 30- bis 40-jährigen Singles vergrößert sich. In einem Artikel von 2012 über die Zunahme von Single-Gemeinden in der Kirche nannte die Huffington Post das eine „Single-Krise”.

Zudem wurden die Ehe und die sexuelle Zurückhaltung vor einigen Generationen von der Gesellschaft als Ganzes auf eine Weise geschätzt, die den Werten der HLT nahe kam. Das ist natürlich nicht länger der Fall. Und ob es uns gefällt oder nicht, und im Guten wie im Schlechten: wir sind umgeben von und geprägt durch eine Gesellschaft, die wesentlich stärker auf Sex fokussiert ist, die sexueller Erfüllung als Teil des Lebenswandels höheren Wert beimisst. Das schafft einen ganz anderen Hintergrund, vor dem die Erfahrungen von alleinstehenden HLT-Erwachsenen zu verstehen und zu thematisieren sind. Das Betiteln von Singles über 30 als „spezielle Interessengruppe” würde heute noch stärker Anstoß erregen, als es damals der Fall gewesen sein mag.

Das erschwert es auch gläubigen Menschen, unter den Rahmenbedingungen von sexueller Enthaltsamkeit und Single-Dasein einen Weg zu Ganzheit und Glück zu finden. Es mag sicher auch schwer zu ertragen sein, wenn andere Gemeindemitglieder sie vielleicht nicht in der gleichen Weise als vollwertige Erwachsene anerkennen, wie die übergeordnete Gesellschaft dies tut.

Alleinstehende Patienten und Freunde haben mit mir über zumindest drei sehr reale Probleme gesprochen, mit denen sie in der Kirche konfrontiert wurden:

Als Erstes, eine herablassende Haltung und Unverständnis seitens der Kirchenführung und anderer Verheirateter aufgrund ihres niedrigeren Status als Unverheiratete.

Als Zweites, die Erfahrung und das Erleben einer Unterentwicklung als Erwachsene (soziale und sexuelle Unreife) sowohl im Selbstverständnis als auch im Umgang mit anderen HLT-Singles.

Als Drittes, die Leugnung von und Angst vor der Sexualität von alleinstehenden Erwachsenen und im weiteren Sinne auch der Mangel an Unterweisung, wie mit dem Thema der eigenen Sexualität umzugehen ist.

Angesichts dieser Gegebenheiten ist es vielleicht nicht überraschend, wenn wir Schwierigkeiten haben, alleinstehende Erwachsene an die Kirche zu binden. Alleinstehende Erwachsene, die gebraucht werden und erwünscht sind, alleinstehende Erwachsene, die zu unserer Stärke als Gemeinschaft beitragen.

http://www.finlayson-fife.com/art-post-lms/

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Lassen Sie mich näher auf diese drei schwierigen Gegebenheiten eingehen, mit denen alleinstehende Erwachsene konfrontiert sind: Und ich beziehe mich auf meine Erfahrung als Therapeutin, die mit HLT-Singles zu tun hat, wie auch schriftliche Aussagen, die ich von etwa 20 Singles mittleren Alters zusammengetragen habe, in denen sie zu ihren Erfahrungen und Sorgen und Nöten rund um das Thema Single-Dasein und Sexualität befragt wurden.

Die erste reale Schwierigkeit ist die herablassende Haltung und das Unverständnis von Seiten der Kirchenführung/Eltern/anderen verheirateten Erwachsenen gegenüber Singles:

Wenn Ehe eine wesentliche Errungenschaft des Erdenlebens darstellt, verkörpern alleinstehende Erwachsene die Abweichung von unserem theologischen Ideal. Wenn jemand nicht heiratet (ob freiwillig oder aus einem Mangel an Gelegenheit) und Ehe der gewünschte Zustand ist, ist es sehr einfach, Singles zu behandeln, als lebten sie in einem anhaltenden Stadium des Heranwachsens – in einer Warteschleife, in der sie geduldig ausharren, um endlich im Erwachsenenalter anzukommen, damit ihr Leben richtig beginnen kann.

Insofern ist es nicht überraschend, dass geistliche Unterweisung und Anleitung in erster Linie gestaltet sind, um die Ehe als Standard zu verfestigen, anstatt ein alternatives Modell der Heiligkeit aufzuzeigen, das sich von der verheirateten Version unterscheidet, das in der Kirchengemeinde aber trotzdem als wertvoll und sinnhaft erachtet wird. Als Ehetherapeutin glaube und lehre ich, dass Ehe eine göttliche Einrichtung ist, da die Verbindung zweier Leben uns zur Veränderung zwingt und uns zu bodenständigeren und liebevolleren Menschen formt, wenn wir es zulassen. Gleichwohl ist es besorgniserregend, wenn alleinstehende Erwachsene selbst unabsichtlich so behandelt werden, als seien sie als Unverheiratete keine vollständigen Menschen. Nicht nur wegen der darin liegenden Herablassung, sondern auch, weil es problematisch für das Verständnis des Menschseins, der Heiligkeit und selbst des wesentlichen Merkmals einer glücklichen Ehe ist.

Einer der Nebeneffekte dieser problematischen Denkweise ist, dass Singles oft bemitleidet werden (besonders die Frauen) oder Misstrauen erregen (besonders die Männer durch die Art und Weise, wie wir Sexualität den Geschlechtern zuordnen), statt dass sie als eine enorme Ressource wahrgenommen werden. Wir würdigen Singles unnötig herab und berücksichtigen ihre Bedürfnisse nicht ausreichend; wir erhalten auch zu wenige ihrer Gaben und Reichtümer im Dienst am Leib Christi. Alleinstehende brauchen eine Aufgabe in unserer Glaubensgemeinschaft – außer jener, bis zum Altar auszuharren.

Immer wieder schrieben mir Alleinstehende, wie ihre Eltern ihnen gegenüber eine herablassende Haltung einnahmen oder verheirateten Geschwistern mit größerem Respekt begegneten. Wie ein Patient mir berichtete: „Wenn ich zu Familientreffen nach Hause komme, schlafe ich auf der Couch, während meine verheirateten Geschwister, die jünger sind als ich, eigene Zimmer mit ihren Ehepartnern bekommen. Manchmal teile ich sogar ein Schlafzimmer mit meinen jüngeren Nichten und Neffen und meine Eltern
verstehen nicht, warum ich mich darüber aufrege.”

Singles berichten auch davon, sie hätten diese Herablassung nicht nur durch die Art, wie sie als Gruppe bemitleidet werden, erfahren. Auch verheiratete Mitglieder und Führende der Kirche seien oft auch unsensibel oder zu losgelöst gegenüber den sehr realen Herausforderungen, die damit einhergehen, erwachsene Sexualität und sexuelle Abstinenz im Erwachsenenalter zu bewältigen:

Ein alleinstehender Mann schrieb mir: „Bischöfe heiraten meist jung und verstehen deshalb nicht, wie es ist, ein älterer Single zu sein. Einer meiner früheren Bischöfe sagte: ‘Es ist genau so schwierig für mich, das Gesetz der Keuschheit zu befolgen, wie für dich.’

Nur dass mein Bischof eben nach Hause gehen und dann mit seiner Frau schlafen kann.” Eine alleinstehende Frau schrieb, ihr Bischof habe ihr geraten: „Na, dann heiraten sie doch einfach!”, so als ob Faulheit und Willensmangel der Grund sei, dass sie Single ist.

Zweitens sprechen Singles über die Erfahrung einer Unterentwicklung als Erwachsene (soziale und sexuelle Unreife) sowohl im Selbstverständnis als auch im Umgang mit anderen HLT-Singles. Der Fokus auf Ehe, gepaart mit der Angst, Sexualität würde die eigene Würdigkeit gefährden, führt dazu, dass sich alleinstehende Erwachsene im Vergleich zu ihren verheirateten oder in Partnerschaft lebenden Freunden unreif fühlen.

Ein Mid-Single schrieb: „Unter dem nachvollziehbaren Deckmantel eines ‘rechtschaffenen Wunsches’ kann man leicht in einem Stadium des Heranwachsens verbleiben. Da es schwer ist, sich der Verantwortung eines Erwachsenen zu stellen, ist es für viele von uns einfacher, unser Dasein zu fristen, und die Ausrede des Single-Daseins zu benutzen, um den Herausforderungen des Erwachsenseins zu entgehen – der Berufswahl, der Ausbildung, sozialer Intimität, finanziellen Verpflichtungen, dem Wohneigentum etc.. Ich kann gar nicht zählen, wie viele alleinstehende Frauen mittleren Alters ich sehe, die noch bei Mama und Papa leben, einer unterqualifizierten Arbeit nachgehen, sich nicht um ihr Aussehen und ihre Gesundheit kümmern und darauf warten, dass der Traumtyp vorbeikommt und sie davonträgt, auf dass sie ihr Leben als Erwachsene beginnen können.”

Eine andere Alleinstehende schrieb:
„Als soziale Aktivität treffen wir uns immer noch und spielen Brettspiele und essen Eiscreme. Es erscheint mir unreif, als ob wir in einem Stadium gehemmter Entwicklung gefangen sind.” Sie schrieb weiter: „Vielleicht ist die Tatsache, dass wir keinen Sex haben, einfach ein Ausdruck unserer Unreife.”

Ein alleinstehender Mann schrieb:
„Wir sind sexuell unterentwickelt als Folge der Keuschheitsrhetorik, mit der wir in der Kirche aufgewachsen sind. Keuschheit an sich ist nicht klar definiert und … der einzige Leitfaden für uns ältere Singles ist ‘Für eine starke Jugend’. Wir sind keine Jugendlichen. Und weil wir sexuell und sozial zurückgeblieben sind, macht es das für uns ältere Singles noch schwerer, auszugehen und Partner zu finden.”

Drittens sprechen Singles über die kollektive Leugnung von und Angst vor einer erwachsenen Sexualität von Singles und im weiteren Sinne auch über den Mangel an relevanter Hilfestellung rund um das Thema ihrer sexuellen Entscheidungen.

Weil uns die Idee von nicht kanalisierter erwachsener Sexualität nervös macht, neigen wir zu der Annahme, sexuelles Verlangen gleich dem eines verheirateten Erwachsenen sei nicht wirklich vorhanden, solle nicht vorhanden sein oder brauche jenseits eines „TU’S NICHT“ auch nicht thematisiert zu werden. Wenn wir das Thema nicht ansprechen (mit Ausnahme der Wichtigkeit von Enthaltung), vielleicht verschwindet es dann von allein!

Wie eine alleinstehende HLT-Frau mir schrieb:
„Das Problem, das ich sehe, ist: Wir Mormonen sind nicht bereit anzuerkennen, dass wir (Singles) nicht nur spirituelle, sondern auch sexuelle Wesen sind.”

Eine andere alleinstehende Person erklärt:
„Ich persönlich glaube nicht, dass der menschliche Körper dafür ausgelegt wurde, bis in unsere 30er und 40er hinein in einem Stadium kompletter Verdrängung des Sexualtriebs zu existieren. Trotzdem glaubt der aktive Mid-Single oft wegen der Weise, wie die Kirche Keuschheit lehrt, dass wir bis zu unserer Heirat asexuell sein sollen.”

Natürlich sind HLT Singles sexuelle Wesen – wie wir alle. Wie unsere Eltern im Himmel, sind wir von Geburt an verkörperlicht und sexuell. Und alleinstehende Erwachsene sind nicht anders. Singles versuchen nur, die Entwicklung als Erwachsener – einschließlich sexueller Wünsche und Bedürfnisse – mit Ehelosigkeit und einem Glauben an Keuschheit zu vereinbaren. Das ist nicht einfach und alleinstehende Erwachsene verdienen allermindestens unsere Anerkennung und unseren Respekt für ihren mutigen Entschluss.

Wenn wir die herausfordernden Entscheidungen im Bereich der Sexualität nicht offen anerkennen, tragen wir dazu bei, unnötige Scham und Angst in Bezug auf die Existenz und Erfahrung sexuellen Verlangens zu erzeugen. Und Scham und Angst stehen im Konflikt mit Selbst-Akzeptanz, Spiritualität und der Integration des eigenen sexuellen Wesens – wesentliche Entwicklungsschritte für die Erlangung der Fähigkeit zur Intimität auf Beziehungsebene und im sexuellen Bereich. Man muss sein sexuelles Verlangen nicht außerhalb der Ehe ausleben, aber man darf dessen Existenz nicht zum Gegenstand der Scham machen oder als Mechanismus der Sünde begreifen. Es ist Ausdruck eines gottgegebenen Sehnens in uns allen. Es wird nicht dadurch besser, vorzugeben, es existiere nicht. Tatsächlich kann die mangelnde Anerkennung und Integration von sexuellem Verlangen unreife Verhaltensweisen verursachen, die sich entweder als sexuelles Triebverhalten oder als vollständige Selbstverleugnung manifestieren.

Zum Beispiel beschwerte sich eine geschiedene Freundin von mir darüber, dass sie mit HLT-Männern ausging und sich regelmäßig gegen deren sexuelle Unersättlichkeit wehren musste, die ihre Besitzgier und sexuelle Unreife offenbarte. Ironischerweise sind ihre Erfahrungen mit Männern, die nicht der Kirche angehören, weitaus angenehmer für sie, weil ihre Nicht-HLT-Partner üblicherweise vertrauter mit Sexualität sind und daher einsichtiger oder weniger ängstlich in ihren sexuellen Entscheidungsprozessen.

"FTSOY2012" by Source. Licensed under Fair use via Wikipedia - https://en.wikipedia.org/wiki/File:FTSOY2012.PNG#/media/File:FTSOY2012.PNG

“FTSOY2012” by Source. Licensed under Fair use via Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/File:FTSOY2012.PNG#/media/File:FTSOY2012.PNG

Als anderes Extrem hatte ich einen 30-jährigen Patienten, der dem Heft „Für eine starke Jugend” mit 99,9-prozentiger Perfektion folgte. Er nahm sich die Passage zu Herzen, die besagt: „Tut auch sonst nichts, was sexuelle Gefühle weckt.” Für ihn bedeutete das nicht nur, nicht zu masturbieren; es bedeutete, seine Genitalien beim Waschen oder Urinieren überhaupt nicht zu berühren. Es bedeutete auch, Kinobesuche zu vermeiden und Interaktion mit dem anderen Geschlecht. Weil er seine Unfähigkeit erkannte, das Auftreten sexueller Gefühle und Erregung zu verhindern, vermied er erwachsene Verhaltensweisen und Beziehungen um jeden Preis. In seinem Fall war dieser Preis seine psychosoziale Reife.

Während dieser Patient sicherlich mit einer Zwangsstörung oder angst-basierten Entscheidungsmustern zu kämpfen hatte, tat er tatsächlich fast annähernd buchstabengetreu das, was der Leitfaden besagt. Das einzige Problem war, dass er in seiner Entwicklung zurückgeblieben war. Er lebte in absoluter Angst vor seiner eigenen Sexualität, Angst vor Frauen, Angst vor Intimität und war unfähig, irgendeine bedeutsame
Beziehung zu anderen aufzubauen.

Ist es das, wonach wir streben? Ist das die Art, wie wir hoffen, mit unserer gottgegebenen Sexualität umzugehen? Ich bin sicher, die meisten von uns würden zweifelsfrei sagen: „Nein, natürlich nicht. Er hat diese Leitlinie viel zu wörtlich interpretiert.” Aber als ich ihm das gleiche nahelegte – dass er eine etwas freiere Auslegung zulassen solle – antwortete er ganz richtig, das Heft besage nicht, man solle mit seinen sexuellen Verhaltensweisen und Gefühlen „in angemessener Weise und unter Einsatz des eigenen Urteilsvermögens” umgehen. Es besagt, man solle nichts tun, was sexuelles Interesse wecke, Punkt. Er wies mich auch darauf hin, dass Gehorsam unserem Schutz dienen solle. Aber meiner Meinung nach hat sein Gehorsam ihn nicht beschützt oder ihm zu Reife oder Spiritualität verholfen – er führte nur zu Angst.

Viele HLT-Singles äußern sich dahingehend, dass die Leitlinien der Kirchenführung eine Weiterführung des kulturellen Leugnens erwachsener Sexualität darstellen und deshalb unzulänglich und unangebracht sind: Indem wir alleinstehende Erwachsene als eine Abweichung vom Modell der frühen Heirat behandeln, legen wir, ohne nachzudenken, Maßstäbe, die für Heranwachsende verfasst wurden, an voll Erwachsene an – von denen einige sogar vorher verheiratet waren – die versuchen, in eine Beziehung zu ihrem sexuellen Verlangen zu treten unter der Voraussetzung, Güte definiere sich darüber, dass man seine Sexualität unterdrückt.

Ein Alleinstehender schreibt, den FESJ-Leitfaden zitierend:
„’Tut nichts, was sexuelle Gefühle weckt.’ Hallo!?!?!?!?!?!… Diese Worte schließen Verabredungen so ziemlich komplett aus (zumindest mit jemanden, an dem ich interessiert bin). Ich weiß, wir sind nicht ‘Jugendliche’, aber ich höre in der Kirche oft Bemerkungen die eine generelle Gültigkeit der Konzepte in besagtem Heft nahelegen … besonders in den Single-Gemeinschaften. Also ehrlich, wollt ihr mich veralbern? Teil der Partnersuche ist genau das: sexuelle Gefühle hervorrufen und erfahren (innerhalb
angemessener Grenzen).”

Ein Single:
„Als alleinstehende Person fühle ich mich, als ob ich fortwährend daran arbeite, mein Verlangen zu unterdrücken und die Erwartungen der Kirche zu erfüllen. Es ist ermüdend. Ich habe das Gefühl, keine Hilfe zu finden, wenn es um einen gesunden Umgang mit Verlangen geht, wenn es keinen legitimen Weg gibt, es zu stillen.”

Ein Single:
„Wir verbringen so viel Zeit damit, uns auf das zu konzentrieren, was wir versuchen zu vermeiden, und so wenig Zeit konzentriert auf das, was wir versuchen zu gestalten. Im Endeffekt wird Sexualität unter den alleinstehenden erwachsenen Mitgliedern so ziemlich auf die gleiche Weise diskutiert wie unter Teenagern. In diesem Bereich hat unsere Kultur die Phase des Heranwachsens noch nicht überwunden.”

Eine der großen institutionellen Gefahren, wenn wir die Sexualität unserer alleinstehenden Erwachsenen nicht zur Kenntnis nehmen und ihnen keine Hilfe zuteil werden lassen, ist, dass viele anfangen ihrer Kirchenführung zu misstrauen und die Herde verlassen – oder sie brechen im Stillen die Regeln und erkunden Sexualität nach eigenem Ermessen, was ihre Kirchenführer in vielen Fällen niemals erfahren.

Alleinstehende Erwachsene:
„Ich hatte einen sexuell erfahrenen Freund in meinen späten 30ern, der mir geholfen hat, die Tür zu meiner Sexualität und meinem Verlangen aufzustoßen. Obwohl ich keinen echten Sex mit ihm hatte, half mir die Erfahrung einen Weg zum sexuellen Bewusstsein zu finden, das mir ein viel besseres Verständnis und eine Akzeptanz der mir innewohnenden Sexualität ermöglicht hat. Aber der Weg war von einer Menge
Scham und Verwirrung überschattet, die im Nachhinein unnötig waren. Ich habe mich entschieden mit meiner Kirchenführung nicht darüber zu sprechen und werde das nie tun – was mir, wie ich denke, ebenfalls geholfen hat, eine gesündere Einstellung zu all dem zu finden. Wenn ich zu meinem Bischof gegangen wäre, hätte das Resultat wohl nur aus weiteren Ebenen von Scham bestanden, statt aus tatsächlicher Unterstützung darin, zu einer vernünftigen Herangehensweise an das Thema meiner sexuellen
Wahlmöglichkeiten als alleinstehende Mormonin in den späten 30ern/frühen 40ern zu gelangen.”

Ein Single:
„Ich kenne einen Bischof an der Ostküste, der meine 36-jährige Freundin, die zum Beratungsgespräch vor der Hochzeit zu ihm kam, zutiefst beschämt hat, weil sie sich mit ihrem Verlobten eingelassen hatte, einem Mann, mit dem sie drei Jahre lang liiert war. Sie war in Tränen aufgelöst. Glücklicherweise griff ihr Verlobter ein und verwies den Bischof in seine Schranken, als er versuchte, sie beide anzuprangern. Das passiert VIEL zu oft. Der einzige Weg, wie Mid-Singles diese Kultur und Praxis ändern können, ist durch schonungslose Offenheit gegenüber den Kirchenführern – und indem wir von ihnen verlangen, uns als Erwachsene zu behandeln und mit Verständnis dafür, was es heißt, bis in die 30er und 40er enthaltsam zu leben.”

Ich würde gern versuchen, zwei Fragestellungen zu erörtern, denen wir uns gegenüber sehen: Wie müssen wir uns als Glaubensgemeinschaft verändern, um unseren alleinstehenden Mitgliedern im Themenfeld Sexualität nützlicher zu sein? Und wie können alleinstehende Mitglieder in Bezug auf diese Fragen und Entscheidungen in Integrität und Klarheit den richtigen Weg finden?

Zur ersten Frage: Wie können wir als Glaubensgemeinschaft unseren alleinstehenden Mitgliedern in Bezug auf Sexualität nützlicher sein?

Zunächst, glaube ich, müssen wir deutlicher eine Sichtweise von Sexualität formulieren, die mit unseren höchsten Idealen übereinstimmt – das meint, eine Vision von Sexualität, die unsere Fähigkeit unterstützt, Gott zu lieben, uns selbst zu lieben und zu akzeptieren und andere zu lieben und für sie da zu sein.

Wir müssen die Verbote und das Totschweigen des Themas überwinden und Möglichkeiten schaffen, durch unsere sexuellen Absichten und Entscheidungen Gutes zu erzeugen.

Wir brauchen diese Formulierung für die Kirche als Ganzes. Als Ehetherapeutin, die überwiegend mit HLT-Paaren und ihren sexuellen Problemen arbeitet, sehe ich regelmäßig das Resultat unserer kollektiven Angst vor Sexualität – Angst vor Sinnlichkeit, sexuellem Gedankengut und Verhaltensweisen und vor der Frage, ob Sexualität und Würdigkeit im Menschen nebeneinander existieren können.

Die Forschung zu meiner Doktorarbeit (über die Einstellung von HLT-Frauen zu ihrer Sexualität) hat gezeigt, dass die meisten HLT-Frauen den Gedanken verinnerlicht hatten, Sexualität und Würdigkeit seien zumindest für Frauen nicht vereinbar. Die meisten hatten vor ihrer Ehe kein Gespür für die Legitimität von sexuellen Regungen entwickelt. Sie hatten dann große Schwierigkeiten, Sex in der Ehe zu haben und zu genießen. Allein die Aufhebung des Verbots war für die meisten Frauen nicht genug, um ein Gefühl sexueller Legitimität zu ermöglichen, und daher kämpften viele damit, gesunde sexuelle Beziehungen zu entwickeln.

Wie dem auch sei, ich begreife sehr gut, warum diese kulturelle Angst existiert. Sexualität ist ein schwieriges Thema. Und es ist eine eindrucksvolle Art der Verbindung mit einem anderen Menschen. Das macht es sehr wichtig, eine vorsichtige und verständige Haltung zur Sexualität zu haben. Aber sie zu fürchten und/oder das Thema ganz zu meiden erweist uns allen einen Bärendienst. Klar gezogene Grenzen mögen wertvoll sein, wenn man mit Teenagern umgeht, die oft am besten mit „Tu dies” und „Tu jenes nicht” zurecht kommen (nun ja, überwiegend: tu jenes nicht).

Aber zumindest brauchen wir Regeln für Erwachsene, ob verheiratet oder Single, die uns dabei helfen, unsere gottgegebene Sexualität mit unserem Wunsch zu vereinbaren, Gutes zu erzeugen und auszudrücken:

Zum Beispiel: Sind Leidenschaft und Sinnlichkeit ein Problem? Wann wird es zu viel? Wann ist es nicht genug? Sind Leidenschaft und Sinnlichkeit nur dann in Ordnung, wenn man verheiratet ist? Was ist problematisch daran, wenn man es nicht ist? Was ist problematisch daran, wenn man sie mit sich selbst erfährt?

Wir brauchen eine bessere Definition dessen, was Sexualität gut macht und was Sexualität böse oder schädlich macht. Und wir brauchen eine bessere Formulierung, als dass Heirat Sexualität zu etwas Gutem macht. Denn das tut sie nicht – das ist keine ausreichende Bedingung.

Meiner Meinung nach spielen die Absicht und die Umstände sexuellen Verhaltens eine wichtige Rolle dabei, es zu definieren. „Natürlicher Mensch” bezieht sich nicht auf unsere Sexualität oder Sinnlichkeit, wie wir oft schlussfolgern. Ich denke, „natürlicher Mensch” bezieht sich auf unsere Selbstsucht und Unreife – unseren Impuls, unsere akuten Bedürfnisse auf unsere Kosten oder die anderer zu befriedigen. Das tun wir natürlicherweise. Und spirituelle Entwicklung geschieht, indem wir unsere eigennützigen Impulse besiegen und nach höheren Bedürfnissen und Zielen streben, die der Menschheit und uns selbst dienen.

Aus meiner Perspektive ist Sexualität an sich weder gut noch schlecht. Stattdessen ist Sexualität eine machtvolle Weise der Verbindung mit anderen, weil es den verletzlichsten Teil eines menschlichen Wesens berührt. Was sie zu etwas Gutem oder Schlechtem macht, sind die Umstände und unsere Absichten.

Beispielsweise gibt es keine schlimmere Methode, die Seele und Psyche einer anderen Person zu verletzen, als durch sexuelle Ausbeutung oder sexuelle Übergriffe. Ich glaube auch, Sexualität in einer festen, liebevollen Partnerschaft kann ein Sakrament sein, eine hochheilige, transzendente Art der Kommunion miteinander. Wir können unsere Sexualität für beide Zwecke einsetzen – anhängig von unserer Absicht und dem Hintergrund unserer Entscheidungen. Haben wir das, was der Theologe Martin Buber als eine Ich-Es-Beziehung bezeichnet, und sehen die andere Person als ein Objekt, das dazu da ist, unseren Bedürfnissen Geltung zu verschaffen? Oder eine Ich-Du-Beziehung, eine Beziehung, die auf tiefem Respekt für ein anderes menschliches Wesen basiert – für eine Person, die von einem gänzlich getrennt und einem gänzlich ebenbürtig ist.

Dies ist meiner Meinung nach einer der Gründe, warum uns geboten wurde, die intimsten Arten sexueller Aktivität in einer festen und verbindlichen Beziehung auszuüben. Denn indem wir das tun, senken wir die psychischen und biologischen Risiken gegenüber einem Partner, uns selbst und jedem Kind, das eine Folge dieser Vereinigung sein mag.

Folglich ist unsere Lehre der sexuellen Zurückhaltung, die durch das Gesetz der Keuschheit ausgedrückt wird, klug:

Eine Studie, die 2000 Menschen von unterschiedlicher Religion und sozio-ökonomischem Status befragte, fand heraus, dass diejenigen, die später sexuell aktiv wurden, von höherer Stabilität und Zufriedenheit in ihren Beziehungen berichteten – einschließlich größerer sexueller Befriedigung. Darüber hinaus kann eine Gesellschaft, die Sex von festen Beziehungen trennt, wie es unsere Gesellschaft in Folge der sexuellen Revolution tut, besonders für Frauen problematisch sein. Denn Frauen tragen biologisch die größeren Risiken für Schwangerschaft und Krankheit. Eine Gemeinschaftserwartung von Verbindlichkeit in der Sexualität wirkt sich positiv auf Frauen aus. Gesamtgesellschaftlich haben Frauen durchgängig weniger Sexualpartner und praktizieren Sex später als Männer, treffen also sexuell konservativere Entscheidungen.

Wie ich in meiner Dissertation argumentiere, vermittelt das Gesetz der Keuschheit für Männer die Erwartung von Verbindlichkeit im Zusammenhang mit Sexualität, die sich für Frauen positiv auswirkt: sie begünstigt die Bedingungen, die viele Frauen sich in ihrem Sexualleben wünschen.

Aber gesetzliche Verpflichtung ist nicht ausreichend, um Sexualität zu etwas Gutem zu machen.

In Ehen gibt es oft lieblosen Umgang. Ein Partner mag sich dazu berechtigt fühlen, zu sagen: du schuldest mir Sex, weil du mein Ehepartner bist, du gehörst mir jetzt. Oder ein Partner mag sich berechtigt fühlen zu sagen: ich muss keinen Sex haben, weil Sex mir unangenehm ist, und obwohl mein Eheversprechen eine sexuelle Beziehung zu dir einschließt, ist mir das nicht so wichtig wie mein Wohlbefinden. Beides sind weitverbreitete Ansichten in einer Ehe und beides sind Arten, jemanden im sexuellen Bereich zu übervorteilen.

http://www.finlayson-fife.com/couples-relationship/

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Indem wir nun also dabei helfen, Erwachsene mit der Fähigkeit zur liebevollen, verbindlichen Sexualität hervorzubringen, sollten unsere sexuellen Leitlinien die Fähigkeit des Einzelnen unterstützen, bedeutungsvolle Beziehungen zu führen. Das schließt die Beziehung zu sich selbst ein, zur eigenen Sexualität und den eignen Bedürfnissen sowie die Fähigkeit, Beziehungen mit anderen einzugehen – auch jene, die von Natur aus sexuell sind (zum Beispiel Beziehungen in der Kennenlernphase), selbst wenn das nicht in vollem Maße ausgelebt wird.

Gegenseitige Anziehung und Begehren sind zum Beispiel Elemente unserer Sexualität, die Raum brauchen, um erfahren und Teil des eigenen Selbst zu werden. Das beinhaltet den Raum, sexuelles Verlangen in sich selbst wie auch in der Beziehung zu einem begehrten Partner zu entwickeln und zu verstehen. Das Verlangen muss nicht voll sexuell zum Ausdruck kommen und mag vielleicht überhaupt nicht sexuell ausgedrückt werden. Es muss aber möglich sein, das Verlangen und die Interaktion mit anderen so zu handhaben, dass es dem Maß an Liebe und Verbindlichkeit dieser Beziehung entspricht.

Ich glaube, Adam Miller, dem Autor von „Letters to a Young Mormon”, gelingt es, die Kernaussage einer gesunden Einstellung zum sexuellen Verlangen in Worte zu fassen: Das Folgende ist ein Auszug aus seinem Buch (Betonung hinzugefügt):

„Denken Sie daran, dass Ihr Hunger nach Intimität, genau wie alle anderen Arten des Hungers, eine Gnade ist, keine Strafe. … Dieser Hunger ist anders, weil es nicht nur der Hunger nach Nahrung oder Atemluft ist, sondern nach einer anderen Person … Der Hunger nach Intimität ist wie ein Ozean. Er wird wie eine Flut über Sie hereinbrechen und Sie werden sich auf dem Meer verloren fühlen. Als Sie ein Kind waren, sind Sie auf dem Trockenen geblieben. Um erwachsen zu werden, müssen Sie lernen zu schwimmen. Sie nicht nicht dafür verantwortlich, dass Sie auf dem Meer sind, so wenig wie dafür, dass Sie atmen müssen. Und obwohl einige etwas Anderes behaupten mögen, sind Sie nicht schuld daran, dass der Ozean nass ist. Sie haben diesen Hunger nicht gewählt. Wie die Besonderheiten sich auch unterscheiden mögen, die Aufgabe bleibt im Grunde dieselbe: Lernen Sie diesen Hunger zu schätzen. Diesen Hunger schätzen zu können wird Übung und Geduld erfordern. Seinen Sie gütig sich selbst gegenüber, während Sie sich da hindurch kämpfen.”

„In der Kirche sagen wir, lernt, keusch zu sein. Das ist richtig, aber wir müssen das klarstellen. Keuschheit als Weg, sich in Sorgsamkeit zu üben, löscht oder verleugnet diesen Hunger nicht. Sie sind keusch, wenn sie voller Leben sind, und sie sind voller Leben, wenn sie den Hunger, in dem es wurzelt, anerkennen.”

„Um diesen Hunger schätzen zu lernen, müssen sie dasselbe tun wie mit den anderen Formen. Sie können diesen Hunger nicht loswerden, indem sie ihm nachgeben oder ihn auslöschen. Beide Strategien leugnen Hunger … Die Lehren der Kirche über sexuelle Reinheit sollen ihnen beibringen am Leben teilzuhaben und sie davor warnen, den Versuch zu machen, ihren Hunger zu stillen, indem sie ihm nachgeben. Aber während die Lehre von Reinheit helfen mag, ihren Hunger zu beherrschen, kann sie auch mit dem Impuls, ihn auszulöschen, zusammenwirken. Und ihren Hunger loszuwerden, indem sie ihn auslöschen, selbst um der Reinheit willen, wird sie ebenso spirituell verkümmern lassen, wie sich ihm zu ergeben. Die Messlatte von Keuschheit ist das Leben und durch göttliche Schöpfung ist das Leben ein Durcheinander. Wenn es nicht sorgsam geschieht, wird das Streben nach Reinheit sie mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit verkrüppeln wie retten. Werden sie kein Sklave ihres Hungers und versklaven sie Ihren Hunger nicht. Sklaverei ist Sünde und Sünde ist der Tod.” Übereinstimmend mit Adam Millers Vorstellung, diesen Hunger nach sexueller Vereinigung schätzen zu lernen, bin ich der Ansicht, unsere Unterweisung und Leitlinien für alleinstehende Erwachsene und alle Erwachsene sollten folgende Ziele fördern:

1. Selbstakzeptanz und Selbsterkenntnis in Bezug auf Sexualität und Verlangen.

2. Die Fähigkeit, mit anderen festen Bindungen einzugehen und für sie zu sorgen – teilweise auch durch die Fähigkeit, die eigene Sexualität mit anderen zu teilen.

Während wir „lernen” im Ozean des Verlangens „zu schwimmen”, sind die Fragen, die unser Urteilsvermögen leiten sollten, unter anderem:

1. Lässt mich die Weise, wie ich mit meiner Sexualität in Beziehung stehe, eine tiefere Verbindung zu mir selbst und anderen erfahren, oder bewirkt sie eine Loslösung?

2. Bringt mich die Weise, wie ich mit meiner Sexualität in Beziehung stehe, zu einer tieferen Verbindung mit Gott und meiner Integrität?

3. Bereichert meine Sexualität mein Leben und das Leben meines Partners, selbst, wenn diese Bereicherung durch Zurückhaltung erfolgt?

In beiden obenstehenden Beispielen (Beispiele sexueller Unmäßigkeit oder Selbstverleugnung) verursachten die Entscheidungen Entfremdung in Beziehungen und im spirituellen Bereich. Ähnlich wie bei unserem Verhältnis zum Essen (oder jeder anderen Leidenschaft), ist die Frage, ob die Leidenschaft unser Leben bereichert oder beherrscht.

Bereitet ihr Verhältnis zu Ihrer Sexualität (oder zum Essen, oder zu Geld) Ihnen auf eine Weise Vergnügen, die Ihre Verbindung zu Ihnen selbst oder zu anderen stärkt? Oder entfremdet sie Sie beidem? Sind Sie durch sie stärker und beständiger, oder zerbrechlich und verwundbar?

Ein Single schreibt:
„Ich glaube, Sexualität ist sehr wichtig für die menschliche Entwicklung, und ich fühle mich als 31-jährige Jungfrau in gewisser Weise zurückgeblieben/kindlich. Ich glaube auch fest an den Nutzen/die Vorteile des Gesetzes der Keuschheit im spirituellen Sinn und im emotionalen/beziehungsrelevanten Sinn. Ich hänge fest.”

Wie denken wir also über das nach, was für unsere spezielle Situation richtig ist, ob in einer Beziehung oder als Single?

Ich glaube, dass Gehorsam gegenüber den wahrhaftigen Prinzipien von Bedeutung ist, genauso wie dem Geist zu gehorchen, indem man die wahrhaftigen Prinzipien auf spezielle Situationen anwendet. Ich glaube mit voller Überzeugung: die Fähigkeit, Entscheidungen in Übereinstimmung mit unserer Integrität, unseren tiefsten Glaubenswahrheiten und dem Heiligen Geist zu treffen, ist wesentlich für das spirituelle Erwachsenwerden ist. Teil dessen, Göttlichkeit zu erlangen – theologisch gesehen – muss aus unserem persönliche Erlangen von Weisheit resultieren, unserer Entwicklung eines besseren Urteils- und Unterscheidungsvermögens und einer verbesserten Fähigkeit, Entscheidungen unserem Gewissen entsprechend zu treffen. Wie Joseph Smith gesagt hat, sollten wir die richtigen Prinzipien lehren und Heilige ihrem eigenen Urteil folgen lassen.

Eine alleinstehende Person schreibt:
„Ich erinnere mich, wie ich etwas älter wurde und merkte, dass die Partnersuche anders war als während meiner frühen Jahre an der BYU. Ich stellte fest, meine eindeutigen Gleichungen … die mir geholfen hatten, als ich jünger war, funktionierten in meinen Beziehungen nicht mehr so gut. Manchmal verhinderten sie die Entwicklung einer Beziehung. Ich musste besser darin werden … mich selbst zu fragen: ‘Kann der Geist in meiner Beziehung mit mir sein, wenn wir ____ tun?’ Das erforderte mehr Flexibilität und auch mehr Wachsamkeit auf meiner Seite. Es fühlte sich auch mehr wie eine erwachsene Beziehung an.”

Ein anderer Single schreibt:
„Was meine persönlichen Entscheidungen in Bezug auf Sexualität angeht, … achte ich heute viel mehr darauf, wie ich mich tatsächlich in der jeweiligen Situation/Beziehung fühle, als darauf, wie man mir sagt, ich solle mich fühlen (und was ich begriffen habe:
ich fühle mich nicht besonders – wenn überhaupt – schuldig dafür, meine Sexualität auf vielerlei Weise in einer liebevollen, festen Beziehung zum Ausdruck zu bringen. Ich denke mir, wenn Gott meint, dass ich etwas Falsches tue, ist er in der Lage, mir das mitzuteilen. So, wie wenn ich gemein zu Menschen bin oder meinen Müll achtlos wegwerfe). Statt mich zu fragen: ‘Habe ich die Grenze überschritten und das Gesetz der Keuschheit verletzt?’, frage ich mich: ‘Hat diese gemeinsame Handlung die Intimität in unserer Beziehung gesteigert oder verringert? Ist diese Handlung aus gegenseitiger Achtung und Liebe hervorgegangen oder aus etwas Anderem? Habe ich das Gefühl, dass meine Selbstbestimmtheit von dieser Person geehrt und respektiert wird, und ehre ich ihre? Wenn ich mich verletzlich fühle, ist es dann für mich sicher, mit dieser Person zusammen zu sein? Entspricht der Grad unserer körperlichen Intimität unserer emotionalen Intimität?’ Diese Art von Fragen. In vielerlei Hinsicht verlangt diese Herangehensweise von mir weitaus mehr Integrität, Mut & Mitgefühl, als sich einfach nur zu fragen, ob ich die Grenze von ‘Für eine starke Jugend’ überschritten habe.”

Eine andere Person schreibt:
„Bischöfe sind vieles, aber sie sind keine Experten in Sachen Sex und Sexualität, obwohl wir sie so behandeln, als wären sie es. Wegen des kulturellen Tabus, das Sexualität umgibt, sind sie vielleicht die Einzigen, abgesehen von einem Ehepartner oder Geliebten, mit denen manche Leute je wirklich über ihr Sexualleben/sexuelle Probleme sprechen. Was sollte die Führung tun, um das besser in den Griff zu bekommen, und wie können Erwachsene ihre eigene Unabhängigkeit in diesen Dingen entwickeln?”

Es ist ein Teil davon, weise in unserem Entscheidungsprozess zu sein, sich von dem sexuellen Schamgefühl und der Ablehnung unseres Selbst zu befreien und stattdessen unsere gottgegebene Sexualität als Geschenk anzunehmen. Als einen Teil von uns – als ein Verlangen, das wir beherrschen, selbst wenn das unerfüllte Sehen manchmal schmerzhaft ist.

Selbstakzeptanz bedeutet, zu sich selbst und Gott ehrlich darüber zu sein, wer man ist. Es bedeutet, Gott und andere durch die eigene Sexualität zu ehren und ihnen zu dienen – egal unter welchen Umständen – statt zu versuchen sie zu unterdrücken oder ihr Vorhandensein zu leugnen. Für manche Singles mag das bedeuten, das Opfer des potenziellen Sakraments der sexuellen Vereinigung zu erbringen. Viele Menschen haben Wege gefunden, ihre Sexualität in andere Arten des Dienstes und der Hingabe für das Gute in der Welt zu verwandeln.

Sexuelle Zurückhaltung, das Kanalisieren von Verlangen, kann Kreativität und Entschlossenheit fördern. Wenn jeder Drang befriedigt wird, haben wir nicht so viel Raum, um uns das zu erarbeiten und zu erkämpfen, was wir uns wünschen. Dies ist eine der Herausforderungen der modernen Gesellschaft. Jüngste Forschungsergebnisse zeigten, wenn Testpersonen inakzeptablem sexuellem Gedankengut oder inakzeptabler Aggression ausgesetzt waren, waren sie kurz nach der Begegnung schöpferischer als diejenigen, die nicht mit den verbotenen Inhalten konfrontiert worden waren. Bei Protestanten war der Effekt stärker ausgeprägt als bei Katholiken oder Juden, was die Forscher darauf zurückführten, dass sowohl Katholiken als auch Juden schöpferische Energie durch übermäßiges Schuldgefühl verloren. Protestanten waren der Ansicht, dass sie den Gefühlen nicht nachgeben sollten, sie büßten aber nicht in gleichem Maße Energie durch Schuldgefühle und Angst ein.

Ich würde gerne glauben, dass wir Mormonen eher wie Protestanten sind, aber wir lassen uns dennoch in unnütze Schuld- und Schamgefühle wegen unserer Sexualität verstricken, statt unsere gottgegebenen Leidenschaften umsichtig auf produktive und soziale Weise zu lenken. Noch einmal: Es liegt Stärke in Selbstakzeptanz, was sexuelles Denken und Verlangen angeht, egal, ob es unsere Fähigkeit zur Intimität mit anderen ermöglicht oder diese Leidenschaften in andere Formen kanalisiert.

Um mit uns im Reinen zu sein, müssen wir aber Verantwortung für unsere Entscheidungen übernehmen, auch wenn sie schwierig sind. Wir können uns nicht auf das verlassen, was uns andere erzählen, und Zuflucht in einem märtyrerhaften Gehorsam finden, wenn wir ein gutes Leben führen wollen. Wir müssen Anspruch auf unsere Glaubenswahrheiten erheben und den Mut haben, für sie einzustehen, selbst angesichts einer Entwertung durch andere.

Das Folgende ist ein Beispiel, wie eine alleinstehende Erwachsene sich selbst akzeptiert und schwierige Entscheidungen selbstbewusst getroffen hat:
„Es war ein Schlüsselmoment für mich, als ich spürte, dass ich Herrin über meine eigene Sexualität sein konnte. Ich kann mich noch daran erinnern (mit ungefähr 35), als ich merkte, dass ich ein sexuelles Wesen war – ob ich Sex hatte oder nicht. Lange Zeit habe ich Sexualität als Handlung gesehen – und das war ANDERS als das Leben, das ich führte (was bedeutet, ich war eine nicht-sexuelle Person und verheiratete Leute waren sexuelle Personen).”

Sie fährt fort:
„Ich habe mir meine Wahlmöglichkeiten zu eigen gemacht, während ich als Person gereift bin. Ich habe folgenden Standpunkt eingenommen: ‘Es ist mein Körper, also entscheide ich darüber, mit wem und wann ich mich körperlich einlasse. Und selbst, wenn diese Entscheidung NIE lautet (als Single), ist das immer noch eine Wahl, die ich für mich treffe.’ Meine Wahl lautete Abstinenz. Lange Zeit hat es sich wie eine Bürde angefühlt, aber seit ich es als meine freie Entscheidung anerkannt und mich dem geöffnet habe, gibt es mir eine Menge Kraft und ich verkünde es heute mit größerem Selbstbewusstsein. Ich scheue nicht mehr vor dem Wort ‘Jungfrau’ zurück, sondern treffe die Aussage als reife Erwachsene mit einem selbstgewählten Weg. Das hat LANGE gedauert (und ich bin noch immer nicht ganz am Ziel), weil unsere Gesellschaft einen dazu bringt, sich DUMM und KINDISCH zu fühlen, wenn man Jungfrau ist. In Wirklichkeit gibt es viele dumme und kindische Leute, die Sex haben. Wie dem auch sei, meine Wahl ist natürlich mit einem großen Nachteil verbunden! Es ist schwierig, Sexualität anzunehmen und sich zu eigen zu machen, wenn Sex nicht ein ‘normaler’ Teil des Lebens ist. Ein gemeinsames Bett ist für mich nicht normal. Ein gemeinsames Leben ist für mich nicht normal. Das ist ziemlich ätzend und auf meiner Seele sitzt ein schrecklicher dunkler Fleck und ich verspüre eine Sehnsucht, die nie gestillt wird. (Ich weiß, dass einige verheiratete Menschen dasselbe Gefühl der Einsamkeit haben.) Ich zwinge meinem Körper einen ‘unnormalen’ Zustand auf und das erfordert einen Preis. Aber weil ich das bewusst gewählt habe, schätze ich auch die Gründe, aus denen ich es tue: Ich habe eine Gemeinschaft mormonischer Heiliger, die mich lieben und mit offenen Armen aufnehmen, eine starke Gewissheit, dass ich auf meine Art lebe und ein Gefühl der Sicherheit, weil ich nicht manipuliert oder missbraucht werde. Single zu sein hat offensichtlich viele Vorteile, also konzentriere ich mich auf die. Und ich tue andere Dinge, um meine Sexualität auszuleben, wie meinen Körper zu erkunden, enge emotionale Beziehungen zu entwickeln, Kinder zu umsorgen und mit Männern zu knutschen, wenn ich die Chance habe. Es ist nicht das Gleiche, aber es ist das, was ich mir erarbeitet habe, und es funktioniert. Ich denke, die Leute sollten sich dessen bewusst sein, was es bedeutet, gesund und enthaltsam zu sein, und alleinstehende Mitglieder mit mehr Respekt behandeln.”

Vorsätzlicher Schmerz macht den Unterschied. Wenn man von seiner Entscheidung überzeugt ist, kann man mehr ertragen – weil man an das übergeordnete Gute glaubt, das durch den Entschluss entsteht. Der Schriftsteller Clive Barker schreibt: „Jeder Narr kann glücklich sein. Es braucht einen Mann (oder eine Frau) mit echter Courage, um die Dinge, die uns zum Weinen bringen, in Schönheit zu verwandeln.”

Meiner Meinung nach ist dies das Wesentliche der Heiligen Schriften: in unserer Integrität zu ruhen. Auf diese Weise schaffen wir Stärke aus uns selbst heraus, indem wir unser Verhalten mit unseren tiefsten Wahrheiten in Einklang bringen. Nicht mit den Wahrheiten anderer. Nicht mit dem, was uns andere zu tun oder zu denken vorschreiben. Sondern indem wir in Übereinstimmung mit dem eigenen, höchsten Gewissen leben – in Übereinstimmung mit dem Geist. Das wird bei uns allen unterschiedlich sein, da bin ich sicher, aber dies ist die Last des Erwachsenseins. In vielerlei Hinsicht stehen alleinstehende Erwachsene deshalb unter größerem Druck, als es Verheiratete vielleicht tun. Das Leben Verheirateter passt besser zu den kulturellen Idealen der HLT und es ist leichter, nach einem Modell der Spiritualität zu leben und den Regeln zu folgen, ohne die eigenen Entscheidungen in Frage zu stellen, weil diese durch die Kultur gutgeheißen werden. Wie ich oft erläutere, soll die Entwicklung von Spiritualität und Beziehungen unsere Abhängigkeit von Bestätigung oder Zustimmung anderer verringern und unsere Abhängigkeit von Bestätigung durch Gott, der für das Beste in uns steht, vergrößern. Gott steht für die Ideale, die uns die tiefste Verbindung mit uns selbst ermöglichen, mit anderen und mit Göttlichkeit. Ich bete für Sie und für uns alle, dass wir diese Stärke finden und in ihr Reife und die Fähigkeit zur Intimität in all unseren Lebensumständen.

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